Festival Blog - Tag 9


Im Mittelpunkt des Programmes heute in der kleinen Evangelischen Kirche in Bad Lippspringe – womit das Festival ein Bisschen wie früher wieder auf Landpartie gegangen ist - standen zwei Kompositionen von Saad Thamir: „Unter einem Himmel“ und „Von allen für alle“. Saad Thamir wurde in Bagdad in eine Künstlerfamilie hineingeboren. Schon als Kind lernte er zu Hause sowohl arabische als auch traditionelle europäische Kunst kennen. Bald nach dem Ende seines Studiums verließ Thamir aus politischen Gründen den Irak erst nach Jordanien, dann nach Deutschland. In Deutschland begeisterte er sich eine Zeit lang für den Jazz. Alle diese Einflüsse haben in seinen beiden Kompositionen für Paderborn ihre Spuren hinterlassen.

„Von allen für alle“ bezeichnet Saad Thamir selbst als Suite, also als lose Folge kürzerer Sätze. Der gesamte Text des fast eine Stunde langen Stückes besteht aus dem einen Satz: „Gib uns deinen Frieden“. Mit diesem Satz – „Dona nobis pacem“ - endet der Text des lateinischen Messordinariums in der katholischen Liturgie. Zunächst wird er auch auf Latein gesungen, dann folgen die europäischen Sprachen Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch, dem Abschluss bilden Arabisch und Hebräisch. Vor dem ersten gesungenen Teil gibt es ein langes Vorspiel, die einzelnen Abschnitte (in den verschiedenen Sprachen) sind durch instrumentale Zwischenspiele voneinander getrennt, in denen die Musiker teilweise gemeinsam spielen, in denen aber auch jeder Musiker improvisierte Teile zu gestalten hat. Thamirs Musiksprache bedient sich, beeinflusst natürlich von arabischer Musik, aber auch von moderner europäischer Musik, einer erweiterten Tonalität. Nur für die arabische Version des „Gib uns deinen Frieden“ nutzt Thamir einen traditionellen Gesangs. Gerade durch die Vielfältigkeit der verwendeten musikalischen Mittel und die rasche Abfolge kontrastierender Teile ist das Stück ungeheuer abwechslungsreich und spannend. Der Appellcharakter, gewissermaßen der gedankliche Kern von „Von allen für alle“ ist auf den ersten Blick erkennbar und kulminiert in der etwas plakativen Verbindung der arabisch und der hebräisch gesungenen Bitte um Frieden.

Das Festival „Musica Sacra“ in Paderborn beauftragte Saad Thamir 2009 mit einer Komposition. So entstand das bereits mehrmals aufgeführte „Unter gleichem Himmel“, wo sich die drei Weltreligionen Christentum, Islam und Judentum musikalisch begegnen. Zu Saad Thamir, der wie schon beim ersten Stück auch hier wieder sang und eine arabische Trommel spielte, der Sopranistin Regine Neumüller und den ebenfalls schon im ersten Teil beteiligten Nay-Spieler Adnan Schanan und Geiger Alan Arif kam nun noch ein vierstimmiger gemischter Chor. Die zentrale musikalische Idee liegt darin, Elemente aus der europäischen und aus der arabischen Musiktradition nebeneinander zu stellen und mit einander zu verschränken. Auf den ersten Blick sind die europäische Musik und die traditionelle arabische Musik unvereinbar: Es gibt unterschiedliche Instrumente, eine unterschiedliche musiktheoretische Grundlage, ja sogar unterschiedliche Tonleitern mit einem unterschiedlichen Tonvorrat. Beide musikalischen Sprachen zu miteinander zu verschränken, dass es eben doch passt, dass es einen stimmigen musikalischen Gesamteindruck ergibt, ist die kompositorische Kunst in den Stücken von Saad Thamir. Ihre Aussage ist ein überhaupt nicht stiller Appell zum friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Kulturen – unter einem Himmel.